Das Märchen von der Führung

Diese Geschichte erzählte ich (so oder so ähnlich) in freier Rede am 22.05.2017 bei den ToastMastern, Speakers Corner in München:

Kennen Sie die Archetypen von C.G. Jung?

Neulich war ich auf einem Seminar, auf dem die 4 wichtigsten – der König, der Liebhaber, der Krieger und der Magier – behandelt wurden. Von diesen hat mich der König am meisten fasziniert, deshalb möchte ich Ihnen heute darüber eine Geschichte erzählen:

Es war einmal eine Prinzessin namens Sofia. Leider war ihr Leben alles andere als märchenhaft, denn ihre Mutter war sehr früh verstorben und so verbrachte sie ihre frühe Kindheit als Halbwaise. Ihr Vater, König Friedmund, war ein herzensguter Mensch, der ihr als Kind nach besten Kräften versuchte, die fehlende Mutter zu ersetzen. Dennoch wünschte sich Prinzessin Sofia manchmal mehr Raum, um das Leben selbst erforschen zu können, aber natürlich fehlte ihr vor allem ihre Mutter sehr.
So war Prinzessin Sofia nach Jahren des übervorsichtigen Behütens dann auch froh, als ihr Vater nach einigen Jahren wieder heiratete und wieder eine Königin an seiner Seite hatte: „Endlich werde ich wieder eine Mutter und ein Vorbild haben!“

Aber Prinzessin Sofia hatte sich zu früh gefreut, denn mit der neuen Königin zogen – nicht nur für sie – ganz neue Sitten ins königliche Schloss ein. Denn die neue Königin Narzissa ließ keine Gelegenheit ungenutzt, um dem ganzen Land zu zeigen, wer als neue Königin die Größte, die Schönste und die Beste im ganzen Lande war. Vor allem wenn die Dinge anders liefen, als die Königin sich das vorstellte, bekam das Personal ihre abfälligen Bemerkungen zu spüren. Denn für eine Königin ist ja nun gerade das Beste gut genug!

Auch Prinzessin Sofia bekam ihren Perfektionismus oft genug zu spüren, jedes kleine FauxPas und jedes kindliche Lachen wurde aufs Argwöhnischste kritisiert, denn als zukünftige Königin sollte die Prinzessin bloß nicht auf dumme Ideen kommen! Amtsführung – ist eine ernste Angelegenheit!
Sofia litt sehr darunter, dass die Königin sie fast genauso viel herum kommandierte, wie das königliche Personal. Nur mit dem Unterschied, dass der Tonfall den Bediensteten gegenüber noch eine Spur abfälliger war, als gegenüber der Prinzessin. Aber ihr Vater ließ seine Frau gewähren.

Im Alter von etwa 13 Jahren sollte Prinzessin Sofia als Mitglied der königlichen Familie langsam an ihre Aufgaben als zukünftige Repräsentantin des Landes heran geführt werden. Aber oh weh! Sie hatte richtiggehend Angst vor dieser Aufgabe. „An wem soll ich mir ein Vorbild nehmen? Mein Vater spricht viel zu selten mal ein Machtwort. Im Gegenteil, er lässt sich viel zu häufig von Narzissa, aber auch von seinen Ministern auf der Nase herumtanzen. Aber wie meine Stiefmutter will ich mein Land nun auch nicht führen!“

Anscheinend hatte ihre Tante Carina ihr Dilemma erahnt, denn wenig später schlug sie vor, dass Sofia für eine Weile zu ihr ins Ausland kommen sollte, um ein wenig über den Tellerrand ihres Heimatlandes hinauszuschauen. Seit sie mit dem König des Nachbarlandes verheiratet war, hatte sie die Herzen der dortigen Bevölkerung mit ihrer natürlichen Autorität im Sturm erobert.
Prinzessin Sofia war sehr froh über diese Möglichkeit. Denn so konnte sie einerseits dem gestrengen Auge ihrer Stiefmutter entgehen, und andererseits boten sich ihr auch neuen Perspektiven – auch zum Thema Amtsführung.

Gemeinsam mit ihrer Tante und dem Rest der Familie machte Sofia immer wieder Ausflüge in verschiedene Gegenden in deren Heimatland. Regelmäßig schwärmten ihr Onkel und ihre Tante zu solchen Gelegenheiten: „Schau mal, Sofia, dies alles ist unser Reich – sind die rapsgelb blühenden Felder und die Wälder und Flüsse nicht schön? Dort hinten hinter der Bergkette liegt das Land von Dir und Deinem Vater mit seinen alten Städten, den Weinbergen und dem Zugang vom Meer. Das finden wir auch sehr schön, wenngleich es auch ganz anders ist als hier. Deshalb tut es uns in der Seele weh, dass Narzissa immer so abfällig über unsere Jagdgründe spricht.“
So lernte Sofia, dass es möglich ist, die Welt nicht nur in schwarz oder weiß einzuteilen oder in gut oder schlecht, richtig und falsch – sondern dass es möglich ist, sowohl als auch zu schätzen.

Außerdem erzählte ihr Tante Carina auch viel über das Wesen von Macht und Führung. „Weißt Du“, sagte sie, „viele Menschen, ob Könige oder Präsidenten, verkennen meiner Meinung nach die Bedeutung von Führung. Sie denken oft, habe ich beobachtet, dass Macht etwas mit besser oder wichtiger sein zu tun hat, oder damit, dass sie automatisch Recht hätten. Deswegen haben dann in ihren Augen alle anderen Unrecht und müssen nach ihrem Willen handeln.
Aber ich habe für mich erkannt, dass das nicht so ist. Führung hat für mich viel mit Präsenz und Vertrauen zu tun. Präsenz im Sinne von denjenigen zuhören, die ein Anliegen oder Nöte haben, und Vertrauen derer, die mir folgen. Vertrauen erreiche ich am besten dadurch, dass ich selbst zuverlässig bin, dass ich Zusagen einhalte und auch dadurch, dass ich nicht meinen Ministerien das Budget kürze, während ich selbst aus dem Vollen schöpfe. Das wichtigste aber“, sagte Tante Carina zu Sofia, „ist, nicht zu fragen, was Dein Land für Dich tun kann, sondern was Du für Dein Land tun kannst.“¹

Das berührte Prinzessin Sofia sehr, und als die Zeit kam, dass sie wieder zurück in ihre Heimat kehrte, hatte sie keine Angst mehr vor der Verantwortung, die ihr Amt mit sich brachte. Fortan handelte sie in diesem Bewusstsein und konnte so mehr und mehr in ihre Rolle hineinwachsen. Ihr Auftreten war bestimmt und respektvoll, und ihre Entscheidungen waren geprägt vom Motto des frz. Zisterzienster-Abtes Bernhard von Clairveaux:
„Stehe an der Spitze, um zu dienen, nicht um zu herrschen!“

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¹ zitiert nach John F. Kennedy (oder dessen Schulleiter…)