7 Verhaltensmuster, an denen Du erkennen kannst, dass Du mitten in einer Depression steckst

Neulich war es mal wieder soweit. Das letzte Jahr war für mich körperlich ein sehr anstrengendes. Endlich hatte ich eine vertrauenswürdige Endokrinologin gefunden, bei der ich mich bezüglich meiner Schilddrüsenerkrankung, die ich seit über 20 Jahren habe, endlich gut aufgehoben fühlte. Das konnte ich von den alten Herren, bei denen ich zuvor in Behandlung war, nicht behaupten. Aber das ist eine andere Geschichte). Zwei Mal im Laufe des letzten Jahres stellten wir meine Medikamente um. Das war nötig geworden, weil ich mich zunehmend unwohler in meiner Haut fühlte.

Damit fing die Achterbahnfahrt dann an.

Mehrfach fand ich mich in einer Überfunktion wieder, was bei mir mit einer teilweise erheblichen Gewichtsabnahme einher ging (was bei einem BMI von knapp 20 nicht lustig ist). Einmal war ich kurz in einer Unterfunktion, was sich bei mir meistens darin zeigt, dass ich nicht “in die Pötte komme”, erst recht nicht morgens.

Im Dezember wähnte ich mich dann endlich gut eingestellt. Daher verschwand ich drei Wochen in den Urlaub im sonnigen Süden. Sonne, Meerblick, lecker Essen und Dolcevita – was will frau mehr. Dachte ich, und machte mir dabei kräftig selbst einen vor.

Unruhe und Genußunfähigkeit

  • Von ständiger innerer Unruhe geplagt suchte ich mir eine Aktivität nach der nächsten, vom Spanischkurs über Wanderungen. Ich war unfähig, es mal länger als eine Stunde am Stück an einem Fleck auszuhalten oder, wie Loriot es sagt, einfach nur dazusitzen.
  • Ich war einfach generell unfähig, irgendwas wirklich zu genießen. Zum Beispiel indem Kaffeetrinken und Essen als Tagesordnungspunkte “abgehakt” wird, anstatt es wirklich bewusst zu genießen.

So richtig deutlich wurde es mir dann, als ich wieder zu Hause war, im schneematschig-kalten Winterwetter in Deutschland. Die dunklen, langen Nächte im Winter machen mir schon seit vielen Jahren zu schaffen. Da konnte auch das frühlingshafte Silvesterwetter nicht darüber hinweg täuschen.

  • Eigentlich hätte ich einige sinnvolle Dinge auf der ToDo-Liste gehabt. Stattdessen verbrachte ich meine Zeit mit stundenlangem, fast schon als zwanghaft zu bezeichnendem Computerspielen (wahlweise Consolen-Spiele oder damit, sinnlose Fernsehserien zu schauen).
  • Alternativ verbrachte ich meine Zeit mit – Essen. Fast schon kiloweise und beinahe ebenso manisch zu nennen vernichtete ich die übrig gebliebenen Weihnachts-Süssigkeiten (das waren einige). Allerdings nicht im Mülleimer, sondern durch verschlingen. Außerdem war ich dauernd in der Küche, um mir eine Kleinigkeit aus dem Kühlschrank zu holen, obwohl ich überhaupt gar keinen Hunger hatte. Das war bei einem BMI von knapp 20 zum Glück nicht soo schlimm.

“Sinnloser Konsum und Scheinbeschäftigung”

Diese Formulierung fasst beides glaube ich ganz gut zusammen. Hauptsache, etwas tun. Hauptsache, nicht stillsitzen müssen. Hauptsache, nicht nachdenken und nichts fühlen müssen. Der Schritt zur Sucht ist so ein kleiner, der zu Bulimie auch…

Als unser Silvesterbesuch kurzfristig absagte, nahm ich das einfach nur hin. Anstatt mich zu ärgern, traurig zu sein oder andere Gefühlsregungen wahrzunehmen. Klar, könnte ich sagen: “Gelassenheit ist eine tolle Sache”. Aber:

Gelassenheit heisst nicht,  keine Gefühle mehr wahrzunehmen.

Denn keine Gefühle wahrzunehmen, das ist eher Gleichgültigkeit. Gelassenheit ist, Gefühle wahr zu nehmen und trotzdem ruhig zu bleiben. (Wird gerne mal verwechselt, nicht nur von mir. Auch diesbezüglich kann man sich übrigens super selbst was vormachen!)

  • Meine Laune wurde immer gereizter. Vor allem meinem Partner gegenüber, der nun zufällig mal die meiste Zeit in meiner Gegenwart verbrachte, war ich ziemlich ungnädig. Fast alles was mir einfiel, waren Vorwürfe. Wenn es mir doch mal gelang, diese herunterzuschlucken, hatte ich ihm sonst nichts zu sagen. Schon bei Kleinigkeiten war ich gereizt.
  • Das Einfühlungsvermögen für seine Befindlichkeiten war mir komplett abhanden gekommen. “Was ist schon seine popelige Erkältung im Vergleich zu dem, wie es mir gerade ging?” Stattdessen war die Empathie durch Zynismus verdrängt worden.
  • Gleichzeitig: Wie sehr hasste ich mich für dieses Verhalten! Ich bin doch sonst gar nicht so. Und ich will auch gar nicht so sein.

Nun ja. Eine ganze Weile (wenn ich den Urlaub mit einrechne) fand ich das alles noch nicht weiter beunruhigend. Lebensfreude – Wer braucht denn sowas? Funktionieren & Hamsterradeln ist doch völlig ausreichend.

Wichtiges in Frage stellen

Überhaupt, wußte schon J.P.Sartre: “Die Hölle sind immer die anderen”.

Deshalb stellte ich – pünktlich zum Jahreswechsel – gleich mal die ganz großen Dinge des Lebens in Frage: Will ich meine Arbeit eigentlich noch weiter machen? Wofür mach ich die eigentlich? Will ich hier noch wohnen bleiben? Will ich meine Beziehung noch fortführen. Zusammengefasst: Ich stellte also eigentlich alles in Frage.

Klar, alles wichtige Fragen, gerne auch an Silvester.
Aber alles auf einmal in Frage zu stellen, geht mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit schief. Vor allem, wenn man mit sich selbst nicht im Reinen ist.

Insofern bin ich sehr dankbar für diesen Blogbeitrag meines Pilger- und Autoren-Kollegen Christian Seebauer, nach dessen Lektüre mir mit Erschrecken klar wurde:
Ja, Scheisse Mann (sorry für die Ausdrucksweise) –  ich stecke ja auch gerade mitten in der Depression. Bedingt durch meine schlecht eingestellte Schilddrüse (ja, eine Schilddrüsenunterfunktion macht fast die gleichen Symptome wie eine Depression).

Leider war trotz der am Telefon geäußerten Dringlichkeit kein früherer Termin als der in drei Wochen zu bekommen (und den hatte ich auch nur, weil ich ihn schon vor meinem Urlaub vereinbart hatte). Und leider – obwohl ich es eigentlich besser wissen sollte – hab ich es selbst viel zu spät gemerkt. Naja, nun gerade noch recht-zeitig, so kann ich eben selbst aktiv werden.

Auch wenn die Erkenntnis an sich schon bitter ist und durch Selbstvorwürfe (“Warum hab ich das nicht eher erkannt?”) eher noch bitterer wird. Sie ist der erste Schritt zur Heilung! So konnte ich selbst aktiv werden, die Dinge in die Hand nehmen, anstatt mich nur als Opfer zu fühlen und die anderen Hölle sein zu lassen. Ja, wer weiss, ob ich in dem Zustand nicht sogar selbst auch oder erst recht Hölle bin – FÜR die anderen…

Warum merken die anderen meistens nichts?

Oder zumindest nur, wenn sie gut geschult sind? Weil viele dieser Symptome oder Verhaltensmuster von außen gar nicht wahrnehmbar sind. Innere Unruhe, keine Gefühlswahrnehmungen, Genußunfähigkeit, Selbstvorwürfe – bekommt man von außen nur mit, wenn der Betroffene darüber spricht.

Essen – ist “was Normales”. Computerspielen und Scheintätigkeiten – wer lässt sich schon gerne dabei erwischen… Gereiztheit & Zynismus – ist schon noch am ehesten von Außenstehenden zu bemerken, allerdings nur, wenn man nicht selbst gerade deren “Empfänger” ist. Sonst verstellt die eigene emotionale Betroffenheit vermutlich den sachlichen Beobachter, der fragen könnte: “Ist eigentlich alles in Ordnung bei Dir? Du bist gerade so anders als sonst, so gar nicht Du selbst.”

Ich selbst hatte zusätzlich auch noch jahrzehntelange Übung in der Industrie-Schauspielerei. Das heißt, ich war gut darin, im Büro eine Rolle zu spielen, ob sie einem gefällt oder nicht. Dies macht es dies Außenstehenden (wobei hiermit auch eigentlich nahestehende Personen gemeint sind) besonders schwer, an eine betroffene Person heran zu kommen. Denn man hat dann eine gewisse Übung darin, wenn denn überhaupt mal Beobachtungen geäußert werden, diese wegzudiskutieren oder zu verrationalisieren.

Mein Tipp für Angehörige

Das Verhalten von jemandem, der in einer Depression steckt, ist ganz häufig sehr ambivalent. “Nimm mich in den Arm, aber bleib von mir weg.” Dazu muss man den anderen schon gut kennen, damit das akzeptiert wird. Daher kommt mir auch wieder die Bitte, der Ausspruch oder meinetwegen auch der Hilferuf eines Unbekannten ins Gedächtnis: “Liebe mich am meisten, wenn ich es am wenigsten verdiene, denn dann brauche ich es am nötigsten.

Die Schilddrüse, das Organ der Mitte

Wenn die Schilddrüse (die übrigens auch “Organ der Mitte” genannt wird) wieder im Lot ist, kann ich selbst auch wieder in meiner Mitte sein. Das Gefängnis (Sartre lässt grüßen), das ich mir durch meine Gedankenkonstrukte selbst gebaut hatte, konnte ich dann auch selbst wieder einreißen (zum Glück, weil ich in dem Bereich genügend Fortbildungen habe).

 

 

PS: Die Ursachen für eine Depression sind vielschichtig. Die Schilddrüse ist nur eine mögliche (aber gerne übersehene).

PPS: Abschließend ist mir noch dreierlei wichtig zu betonen:

  1. Wenn Du, lieber Leser, liebe Leserin, Dich in diesen Absätzen wieder erkennst, möchte ich Dir mit auf den Weg geben:
    Bitte suche Dir Hilfe. Du bist nicht “Schuld” (ein blödes Wort, ich mag es gar nicht) an Deiner Situation. Mit Dir ist nichts “falsch” (noch so ein blödes Wort). Du bist mit ziemlicher Sicherheit auch gerade nicht alleine in einer solchen Sitation. Und Du musst auch nicht alles alleine lösen.
    Die Erkenntnis oder Eingeständnis dessen, dass Du Hilfe brauchst und sie in Anspruch nehmen darfst, ist kein Eingeständnis von Schwäche. Sondern von Stärke. Und der erste Schritt zu Deiner Heilung!
    Hilfe kann sein (aus meiner Sicht in DER Reihenfolge): Ein erstes Gespräch mit einem wohlmeinenden Menschen. Ein Termin bei einem Arzt, Heilpraktiker, Psychologen/Psychotherapeuten, mit einem Seelsorger. Oder – wenn Du so gar niemanden hast, an den Du Dich sonst wenden kannst – ein Gespräch mit einer entsprechenden Telefon-Hotline, wie z.B. dem Krisen-Dienst oder Krisen-Interventions-Team.
    Auch bei Deiner Krankenkasse kann man Dir ggf. einen Ansprechpartner vermitteln.
  2. Über die Ursachen und Wirkmechanismen von Depressionen gibt es viele Spekulationen und Theorien. Tatsächlich sind diese aber noch gar nicht vollumfänglich erforscht, meines Erachtens sind allenfalls Teilbereiche bisher als sicher bekannt zu bezeichnen.
    Ich würde mir daher einen Umgang mit der Erkrankung und vor allem mit Erkrankten wünschen (und hier muss ich aus eigner Erfahrung leider hinzufügen: auch oder vor allem von Ärzten!) – der auf den Menschen mit all seinen Befindlichkeiten eingeht, und sich nicht nur auf messbare Parameter oder Teilwahrheiten beschränkt.
  3. Denk daran, auch unbedingt auch die Schilddrüse mit untersuchen zu lassen! Das kann im ersten Schritt auch Dein Hausarzt machen. Hormon-Tabletten für die Schilddrüse haben – wenn Du gut eingestellt bist – deutlich weniger langfristige Nebenwirkungen als Antidepressiva!

Weitere Kontaktdaten oder geeignete Ansprechpartner findest Du unter diesem Link: http://www.psychenet.de/de/hilfe-finden/schnelle-hilfe/krisenanlaufstellen.html 

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